„Hört mir zu ihr trotzigen Herzen, die ihr ferne seid von der Gerechtigkeit! Ich habe meine Gerechtigkeit nahe gebracht; sie ist nicht ferne (Jes. 46, 12.13)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Gerechtigkeit ist aktuell ein großes Thema. Gerade im schulischen Bereich, insbesondere wenn es um grundsätzliche Diskussionen über Bildungschancen angesichts einer zunehmenden sozialen Ausdifferenzierung geht. Instinktiv denken dann die meisten an Verteilungsgerechtigkeit wie beim Kindergeburtstag: jeder bekommt das gleiche Stück Kuchen – wenn er denn will. Dann fällt der Blick schnell auf unterschiedliche Bildungschancen je nach Herkunft oder Geschlecht. Insgesamt wird das Gespräch über „Gerechtigkeit“ aber zumeist von unterschiedlichen Perspektiven auf eine Verteilungsgerechtigkeit geprägt.
Ein Blick in die biblischen Texte öffnet mir hier noch einmal einen ganz anderen Blickwinkel, der auch didaktisch relevant ist.
Beim Propheten Jesaja im Alten Testament wird ein Wort des lebendigen Gottes überliefert:
„Hört mir zu ihr trotzigen Herzen, die ihr ferne seid von der Gerechtigkeit! Ich habe meine Gerechtigkeit nahe gebracht; sie ist nicht ferne (Jes. 46, 12.13)
Was ist damit gemeint? Im hebräischen Urtext meint das Wort Gerechtigkeiten Gottes zuerst einmal Wohltaten Gottes. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir morgens aufstehen, arbeiten und lernen können, dass liebe Menschen um einen sind. Dass die Erde sich dreht, Luft zum Atmen um uns ist, Wasser zum Trinken und die Wälder grün. Nichts ist aus dieser Perspektive des Glaubens einfach so da. Unser Leben, alles, ist nicht unser Verdienst, sondern ein Geschenk Gottes, oder in diesem ungewohnten Sprachgebrauch des Hebräischen: es sind Gottes Gerechtigkeiten.
Von daher wird dann auch die vom Menschen ausgehende Gerechtigkeit gedacht. Menschliche Gerechtigkeit entspringt zuerst der Dankbarkeit dafür, dass wir Menschen im Grunde fast alles von Gott her geschenkt bekommen und menschliches Denken, Handeln und Wirtschaften eher sekundär ist.
Menschliche Gerechtigkeit soll sich daher in dieser biblischen Perspektive eine Art wechselseitige Solidarität der Menschen untereinander erweisen. So gesehen ist das biblische Gerechtigkeitsverständnis zuerst ein Ruf hin zum lebendigen Gott und dann ein Hinweis zum Miteinander und zur Gemeinsamkeit.
Dies ist weit mehr als bloßes Nachdenken über das rechte Tun, mehr als Ethik oder das bloße Einfordern des aus der eigenen Perspektive zustehenden Kuchenstücks.
Ethik lebt – so gesehen – von einer lebendigen Beziehung Gottes zum konkreten Menschen; und erst aus diesem stetigen Strom der Dankbarkeit heraus, kann so etwas wie ein gerechtes Tun erst entstehen und werden. Auch mein eigenes Versagen und meine eigene Ungerechtigkeit gegenüber andern und der ganzen Schöpfung Gottes ergibt sich daraus im Umkehrschluss: dann nämlich, wenn der Strom der Dankbarkeit von Gott her versiegt. Menschliche Gerechtigkeit braucht deshalb das stetige Gebet, die Beziehung zum lebendigen Gott.
Ihnen allen nun ein von Gott gesegnetes Schuljahr!
Mit herzlichen Grüßen aus dem Evangelischen Schuldekanat Adelsheim-Boxberg/Mosbach,
Martin Schwarz, Schuldekan